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  • Anna Lindenberger

Einsingen: ja oder nein?

Aktualisiert: 25. Apr. 2020

Wissenswertes über das Einsingen für interessierte SängerInnen



Was ist das Einsingen? Wahrscheinlich ist das Einsingen (engl.: Warm-up) der Stimme am Beginn der Gesangsstunde, jedem, der schon einmal Gesangsunterricht genommen hat oder in einem Chor singt, bekannt. Dabei werden der Körper und die Stimmmuskulatur mittels Lockerungs- und Entspannungsübungen, sowie mit Methoden zur Aktivierung der Atemmuskulatur und der Artikulationsorgane (Zunge, Lippen, Gaumensegel, Unterkiefer) "aufgewärmt". Gleichzeitig dienen die ausgewählten Übungen auch dazu mental auf die anschließenden Lieder (beispielsweise auf sehr hohe Töne) vorzubereiten.


Was passiert beim Einsingen? Beim Einsingen wird die Atmung vertieft, die Durchblutung verstärkt und die Muskulatur in Folge gelockert und flexibilisiert. Die drei bei der Stimmerzeugung involvierten Systeme (= Gesangsapparat) Atmung, Kehlkopf und Vokaltrakt, in welchem der Klang resoniert, können so nach einem Warm-up effizienter zusammenwirken, da deren Koordination verbessert wird.


Erst eine gelockerte Muskulatur ermöglicht die optimale Funktionsweise des Stimmapparats und eine "Vergrößerung" des Instruments.


Diese "Vergrößerung" ist sowohl auf einer klanglichen Ebene zu verstehen – der Ton wird voluminöser und kräftiger – aber auch auf einer physiologischen Ebene: der Vokaltrakt wird beispielsweise nach unten hin erweitert wenn der Kehlkopf entspannt ist. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ein freier und klangvoller Ton entstehen kann.


Auch im Sport ist es üblich sich vor der körperlichen Betätigung, beispielsweise vor dem Lauftraining oder einem Marathon, "aufzuwärmen": Muskulatur, Sehnen, Bänder und Gelenke werden durch entsprechende Übungen, wie unter anderem mittels Dehnen oder einer Massage, auf die sportliche Aktivität vorbereitet. Dadurch wird die Muskulatur verstärkt durchblutet und gelockert. Wie beim Einsingen liegt der Sinn dieses Aufwärmens einerseits darin Verletzungen vorzubeugen und anderseits darin muskuläre Spitzenleistungen abrufen zu können.


Das Einsingen kann also letztlich auch als stimmhygienische Maßnahme begriffen werden, die der Gesunderhaltung der Stimme dient und Stimmstörungen vorbeugen kann.


Stand der Wissenschaft Die Literatur zum Thema Einsingen und dessen Auswirkungen auf die Stimme basiert größtenteils auf den subjektiven Erfahrungen von SängerInnen, GesangspädagogInnen und anderen ExpertInnen, die durchwegs positive Effekte des Warm-ups auf die Stimme beobachtet haben. Dazu zählen konkret eine bessere Stimmqualität, -flexibilität, das leichtere Ansprechen der Stimme und ein größerer Tonumfang. Aus wissenschaftlicher Sicht jedoch ist noch wenig über den zugrunde liegenden Mechanismus bekannt, der den Warm-up-Effekt erklären kann.


StimmforscherInnen konnten den positiven Einsing-Effekt aufgrund verschiedener Messergebnisse bisher jedenfalls noch nicht eindeutig nachweisen. Als Ursache hierfür dürften zum einen unterschiedliche Studiendesigns gelten, zum anderen stehen die WissenschaftlerInnen vor dem Problem den Einsingeffekt nicht an einem einzigen, validen Parameter festmachen zu können. Fraglich ist außerdem welche Stimmparameter überhaupt in die Messung miteinbezogen werden sollen.


Stimmgattung und Einsing-Effekt StimmforscherInnen fanden einen Zusammenhang zwischen der Stimmgattung (= Einteilung einer Stimme nach ihrem Umfang --> Sopran, Mezzosporan, Alt, Tenor, Bariton und Bass) und der Stärke des Warm-up-Effekts: so profitierten Mezzosoprane mehr vom Einsingen als Soprane. Das wurde mit deren längeren und massigeren Stimmlippen erklärt.


Es wäre also möglich, dass "schwere" Stimmen grundsätzlich mehr vom Einsingen profitieren als "leichte" Stimmen (wie Soprane).


Einsingen: ja oder nein? Der spürbare Effekt von Einsingübungen ist aber auch immer von der (muskulären) Leistung des Stimmapparats abhängig, die im Anschluss erbracht werden soll. Aus der Stimmforschung gibt es dazu mehrere Vermutungen: so könnte das Warm-up möglicherweise dann besonders sinnvoll sein, wenn die Stimmlippen im anschließenden Song extreme Dehnungs- und Verkürzungszyklen durchlaufen müssen, das Lied also sehr tiefe und hohe Töne beinhaltet.


Außerdem wird angenommen, dass SängerInnen, welche in einem Frequenzbereich singen, der sich an den Bereich der Sprechstimme orientiert, wie beispielsweise Country-Sänger, möglicherweise keine so umfangreiche Aufwärmpraxis benötigen.


Weiters wird das Einsingen professioneller Sprech- und Singstimmen wenig bis gar keinen Nutzen haben, so vermuten StimmforscherInnen, wenn ein Lied einen geringen Tonumfang aufweist, der sich in der Sprechstimmlage befindet.


Meine persönlichen Beobachtungen zu dieser Thematik sind weiters, dass es auch einen spürbaren Unterschied macht, ob man gleich nach dem Aufstehen singt, wenn der Gesangsapparat noch müde ist oder ob man abends singt, wenn die Stimme bereits tagsüber genutzt und zumindest im Sprechstimmbereich "aufgewärmt" wurde. Aber auch im letzten Fall empfehle ich ein Einsingen, wenn abends besonders hoch oder tief gesungen wird oder auch andere spezielle muskuläre Einstellungen im Lied benötigt werden, die im Sprechalltag nicht vorgenommen worden sind (z.B. bestimmte Stimmeffekte).


Dazu kommt außerdem, dass tagsüber während der Arbeit oftmals unergonomische Körperhaltungen eingenommen werden, die zu Verspannungen im Stimmapparat führen können. Auch psychogene Faktoren wie Stress machen sich oft in einem muskulären Festhalten (zum Beispiel in der Bauchdecke oder im Kiefer) bemerkbar. Körperliche und stimmliche Lockerungsübungen sind in solchen Fällen besonders wichtig.


Fazit Als Gesangspädagogin, aber auch als Sängerin würde ich sowohl Laien als auch professionellen SängerInnen grundsätzlich immer zu einem kürzeren oder längeren Einsingen raten - je nach individuellem Bedürfnis. So setzt man sich vor dem Singen mit seinem Körper auseinander und kann spätestens dann nachfühlen, wie es ihm gerade geht und angemessen auf ihn reagieren.

Merkt man bei einem Körperscan (bewusstes Wahrnehmen der unterschiedlichen Körperregionen) keine Laschheit oder Verspannungen, kann man zu den stimmlichen Lockerungsübungen wechseln. Spricht die Stimme auch hier leicht an und gelingt das Singen von hohen und tiefen, kurzen und langen Tönen oder Phrasen problemlos, kann man direkt mit dem Singen des Lieds fortsetzen. Bemerkt man jedoch körperliche oder stimmliche Blockaden, sollte man sich die Zeit nehmen entsprechende Übungen vor der Liedarbeit auszuführen.



Hast du weitere Fragen zu dieser Thematik?

Möchtest du ein paar Einsingübungen kennenlernen?

Hättest du gerne ein an dich und deine Stimme angepasstes Einsingprogramm?

Dann schreib mir unter koerperbewusstestimmbildung@gmx.at. Im Rahmen einer Gesangsstunde beantworte ich dir gerne deine Fragen. Ich freu mich von dir zu lesen!

Alles Liebe,

Anna



© Anna Lindenberger

 

Quellen:


Amir, Ofer; Amir, Noam; Michaeli, Orit: „Evaluating the Influence of Warmup on Singing Voice Quality Using Acoustic Measures“, in: Journal of Voice - Official Journal of the Voice Foundation and the International Association of Phonosurgeons (Heft 19/ 2), 2005, S. 252-260.


Gish, Allison; Kunduk, Melda; Sims, Loraine; McWhorter, Andrew J.: “Vocal Warm-Up Practices and Perceptions in Vocalists: A Pilot Survey”, in: Journal of Voice - Official Journal of the Voice Foundation and the International Association of Phonosurgeons (Heft 26/1), 2012, S. e1-e10.


Lehmann, Christian: „Einsingen“, in: Ann-Christine Mecke; Martin Pfleiderer; Bernhard Richter; Thomas Seedorf (Hg.): Lexikon der Gesangsstimme. Geschichte, wissenschaftliche Grundlagen, Gesangstechniken, Interpreten, Laaber: Laaber-Verlag, 2016, S.189-199.


Lohmann, Paul: Stimmfehler Stimmberatung. Erkennen und Behandlung der Sängerfehler in Frage und Antwort, 3. Auflage, Mainz: Schott-Verlag, 2009.


Motel, Tamara; Fisher Kimberly V.; Leydon Ciara: “Vocal Warm-up Increases Phonation Threshold Pressure in Soprano Singers at High Pitch“, in: Journal of Voice - Official Journal of the Voice Foundation and the International Association of Phonosurgeons (Heft 17/ 2), 2003, S. 160-167.


Sandage, Mary J.; Hoch, Matthew: “Exercise Physiology: Perspective for Vocal Training”, in: Journal of Singing - The Official Journal of the National Association of Teachers of Singing (Heft 74/ 4), 2018, S.419 - 425.

 

Über

Anna Lindenberger, MA

Mein Name ist Anna und meine große Leidenschaft ist es deine Stimme mit dir zu erforschen und dir dabei zu helfen dein stimmliches Potenzial auf eine gesunde und nachhaltige Weise zu entfalten.


Kontaktiere mich unter koerperbewusstestimmbildung@gmx.at, wenn du eine unverbindliche Schnupperstunde vereinbaren möchtest.


Ich unterrichte in meinem Unterrichtsraum in Wien oder auch online über Skype/ Zoom.




 

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